»Walpurgisnacht«
Faust im Reiche Satans

 

Handschrift 'Walpurgisnacht'

Faust und Mephisto besteigen in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai gemeinsam den Brocken oder Blocksberg, auf dem in dieser Nacht, der Walpurgisnacht, der Hexensabbat abgehalten wird, bei dem dem Teufel Verehrung entgegengebracht und der Teufelspakt geschlossen oder erneuert wird.

Aufstieg zum Brocken, 1813

Mephisto versucht in dieser Szene erneut, wie schon in »Auerbachs Keller«, Faust auf recht ungenügende Weise zu unterhalten, ihn abzulenken, während dieser die Gelegenheit nutzen will, von dem anwesenden Satan Antworten zu erhalten:

Doch droben möcht' ich lieber sein!
Schon seh' ich Glut und Wirbelrauch.
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
Da muß sich manches Rätsel lösen. (415)

Walpurgisnacht auf dem Blocksberg, 17. Jhd.Aber es gelingt Mephisto, Faust in das Treiben hineinzuziehen und ihn zu einem obszönen Tanz mit einer Hexe zu bewegen, so daß die Walpurgisnacht für Faust zu einem "Erlebnis der Leidenschaft" (416) wird. Zu dem Tanz muß Mephisto Faust nicht überreden, er schlägt ihn einfach vor. Auch ist es Faust selbst, der die Hexen erblickt und seinen Wunsch zum Tanz andeutet: "Die haben schon was rechts gesprungen!" (416a) Der Tanz dauert an, bis der Hexe ein "rotes Mäuschen" (417) aus dem Mund springt und Faust plötzlich eine Erscheinung sieht, die ihn an Gretchen erinnert. Die meisten Kommentatoren sehen den Grund, daß Faust den Tanz abbricht, in der Erscheinung Gretchens. Es ist jedoch ebenfalls denkbar, daß Faust durch die Maus abgeschreckt wird und den Tanz beendet. Sodann berichtet er Mephisto darüber - er spricht darüber wie über etwas schon einige Minuten zurückliegendes - und will noch weiteres sagen, bricht aber plötzlich ab: "Dann sah' ich -" (418). Im Präsens spricht er sodann von der Erscheinung, die er wohl erst in diesem Moment sieht. Wäre Gretchens Erscheinung der Grund, daß Faust den Tanz abbricht, so würde Faust schon mit der nicht weitergeführten Äußerung die Erscheinung meinen, sich nun wohl hilflos und um Worte ringend umblicken und sie dann erneut sehen. Die rote Maus ginge dann der Erscheinung unmittelbar voraus, hätte aber keine weitere Bedeutung.

Mephisto versucht Faust davon zu überzeugen, daß es sich bei der Erscheinung um die enthauptete Meduse handelt, eine der drei Gorgonen der griechischen Mythologie. (419) Faust begreift noch nicht, daß es wirklich die magische Vision Gretchens ist, deren baldige Hinrichtung prophezeiend.

Hexen tanzen mit dem TeufelIn Kapitel 1.2 sind die Besonderheiten der Hexerei gegenüber schwarzer und weißer Magie herausgestellt worden. In der Szene »Walpurgisnacht« finden sich diese Aspekte wieder. Goethe hat sich "über Zauberei und Aberglauben, über das Teufels- und Dämonenwesen, über Ketzerverfolgungen und Hexenprozesse unterrichtet" (420). So greift er die u.a. vom Hexenhammer behauptete Verführbarkeit der Frau durch das Böse auf, (421) bezieht aber auch den Mann mit ein.422 Den Begriff "Sprunge" (422a) bezieht Schöne in Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult auf den Geschlechtsakt, besonders auf die Teufelsbuhlschaft. (422b) Diese wird hier jedoch dem Mann zugeordnet und nicht, wie üblicherweise, der Frau, so daß "ein geschlechtsspezifisch orientierter sozialpsychologischer Erklärungsversuch" (422c), wie ihn der Hexenhammer beinhalte, im Faust nicht aufgegriffen werde.

Die Hexen fliegen auf Besen oder Böcken zum Blocksberg. (423) Für den Hexenflug spielt die 'Hexensalbe' eine wichtige Rolle. (424) Diese Salbe setzt sich zusammen aus Nachtschattengewächsen wie Tollkirsche, Bilsenkraut und Stechapfel, wie in Albrecht Schönes Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult nachzulesen ist. (425) die hlg. WalburgaDiese Drogen können starke Halluzinationen hervorrufen (426) und haben vielleicht die Illusion der Teilnahme an einem Hexensabbat verursacht, wie es dann in die Protokolle der Inquisition Eingang gefunden hat. Mit dem Tanz Fausts und Mephistos mit den beiden Hexen wird dann die zum Hexensabbat gehörende Orgie angedeutet, in die ein solcher Tanz gewöhnlich mündet. (427) Nach Albrecht Schöne stellen die beiden Hexen sogar Buhlteufelinnen dar, womit Faust sich also konkret der Teufelsbuhlschaft hinzugeben bereit wäre, was "ihn endgültig dem Reich des Bösen einverleiben" (428) würde, würde er den Tanz nicht abbrechen. So "führt der Hexentanz ihn um Haaresbreite an den Rand des Verderbens." (429) Dagegen sieht Erich Trunz den Tanz als "Symbol des Innern": "die Hexe spiegelt die Sexualität Fausts". Trunz sieht das Magische "in der Wechselseitigkeit des Innen und Außen" (429a), deutet die gesamte »Walpurgisnacht«-Szene also allegorisch.

 

Zauberfest, 1620?

 

Die Szenerie, die Goethe in der »Walpurgisnacht« einschließlich der Paralipomena entwirft, hat eine Parallele in einem Kupferstich von Michael Herr aus der Mitte des 17. Jahrhunderts (s. Abb.). Albrecht Schöne beschreibt in Götterzeichen, Liebeszauber, Satanskult die Übereinstimmungen des Kupferstichs, dessen linke Hälfte den Gipfel des Blocksbergs zeigt, mit der »Walpurgisnacht« Goethes. (430) Ob Goethe den Kupferstich tatsächlich kannte, ist nicht gewiß, jedoch "beruht die Nürnberger ‚Abbildung deß Gottlosen und verfluchten Zauber Festes ihrerseits auf dem gleichen Überlieferungskomplex, der dem Verfasser der Walpurgisnacht-Szene auch auf anderen Wegen zugänglich war." (430a) Der Kupferstich zeigt links eine Prozession den Berg hinauf, auf Besen und Böcken fliegende Hexen und zahlreiche Details, die sich in der »Walpurgisnacht« wiederfinden. Die rechte Bildhälfte erinnert an das Theaterstück des "Intermezzos".

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