»Studierzimmer«
Möglichkeit
zum dritten Entgrenzungsversuch

Faust hat durch seinen Osterspaziergang zur "Menschenliebe" und zur "Liebe Gottes" (362) zurückgefunden, er ist "überraschend frei von allen bisherigen Problemen [...], ein Gläubiger [...], dem die Bibel als Quelle göttlicher Offenbarung gilt" (362a). Er wird jedoch durch den Pudel gestört, was ihn immer wieder veranlaßt, seinen Monolog zu unterbrechen. Schließlich "muß der Strom so bald versiegen" (363), worauf Faust das Neue Testament aufschlägt und eine Übersetzung versucht, die ihm jedoch schon beim ersten Satz Schwierigkeiten bereitet. (364)

Durch die Bibelübersetzung beginnt der Pudel, sich zu verwandeln. Faust merkt, daß es sich entgegen seiner vorherigen Einschätzung doch um ein geisterhaftes Wesen handelt und versucht sofort, dieses zu bannen, Gewalt darüber zu erlangen.

Zunächst greift er zu "Salomonis Schlüssel" (365), dem Zauberbuch Claviculae Salomonis, "eine gnostisch-kabbalistische, später von christlich-spiritualistischer Pansophie überformte und seit dem 16. Jh. in zahlreichen Abschriften kursierende Schrift", die bei Paracelsus und Welling "als magisches Grundbuch auch für die Beschwörung der Geister und den Umgang mit ihnen" (365a) genannt wird. Das Buch gehört in die Reihe der sog. Höllenzwänge (365b). Faust beschwört die vier Elementargeister Salamander, Salomonis Schlüssel, um 1650Undine, Sylphe und Kobold. Diese vier Elementargeister sind den vier Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde zugeordnet. Agrippa von Nettesheim beschreibt die vier Elemente in De occulta philosophia als die "Grundlagen aller körperlichen Dinge [...]. Aus diesen sind alle Naturgegenstände unserer Welt zusammengesetzt, [...] durch Verwandlung und enge Verbindung." (366) Die Elemente können in drei verschiedenen Zuständen erscheinen: "rein", "zusammengesetzt" oder "zersetzt" (366a). Zuerst beschrieb der Philosoph und Naturforscher Empedokles im 5. vorchristlichen Jahrhundert in seiner Naturphilosophie Über die Natur diese vier Grundelemente, in denen er die "Wurzeln aller Dinge" sah, aus denen alles Dasein hervorgehe und nach einem Kreislauf wieder zu ihnen vergehe (366b). Trunz bezeichnet die Elementargeister im Faust als paracelsisch. (366c)

Hier wird noch einmal deutlich, daß Faust sich inzwischen auszukennen scheint: "Die vier Elemente sind es also, ohne deren genaue Kenntnis keine Wirkung in der Magie hervorgebracht werden kann." (367)

Da die Beschwörung der Elementargeister, die nach Meinung Albrecht Schönes falsch durchgeführt ist, (368) keinen Erfolg zeigt, erkennt Faust, daß es sich um einen Dämon aus der Hölle handeln muß. So nimmt er ein Kruzifix zu Hilfe. (369) Da sich in Faust "die Liebe Gottes regt" (370), hat er Erfolg: Mephisto steht schließlich vor ihm.

In dem ersten Gespräch mit Faust reflektiert Mephisto spöttisch, ja betont abwertend das pansophische Weltbild, nachdem Faust ihn unverständig fragt: "Du nennst dich einen Teil, und stehst doch ganz vor mir?" (371) Mephisto beschreibt sich als einen Teil Luzifers, des 'Lichtbringers', der die Finsternis erhellte und die Körper schuf, der also selbst ein Teil dessen ist, "der Anfangs alles war" (372).

Mephisto muß eingestehen, daß er Faust 'in die Falle' gegangen ist, da er wegen des Pentagrammes auf der Türschwelle das Zimmer nicht verlassen kann. Das PentagrammPentagramm, im Volksmund 'Drudenfuß', Hexenfuß, genannt, ist ein fünfzackiger, in einem Zug gemalter Stern. Es ist ein magisches Schutzzeichen, welches den, der innerhalb steht, vor Dämonen außerhalb schützt, da diese nicht eindringen können. Dieselbe Wirkung hat ein magischer Kreis. Auf eine Türschwelle gemalt, hindert das Pentagramm Dämonen daran, einen Raum zu betreten. Nach Erich Trunz ist das Pentagramm darüber hinaus, "sofern die fünf Zacken die Buchstaben des Namens Jesus bedeuten, ein heiliges Zeichen, daher hinderlich für böse Geister." (373)

Durch das Pentagramm ist Mephisto Fausts "Gefangner" (374). Da die nach außen weisende Spitze nicht sorgfältig geschlossen war, konnte Mephisto den Raum betreten. Er muß ihn allerdings auch wieder durch die Tür verlassen; über die zwei korrekt gezogenen nach innen weisenden Spitzen aber gibt es für ihn kein Zurück. Faust erkennt sofort die doppelte Möglichkeit, die ihm diese Situation bietet:

Die Hölle selbst hat ihre Rechte?
Das find' ich gut, da ließe sich ein Pakt,
Und sicher wohl, mit euch ihr Herren schließen? (375)

Er kann Mephisto einen Pakt 'diktieren' und sich darüber hinaus sicher sein, daß dieser daran gebunden wäre. Auch Mephisto erkennt, daß er sich im Nachteil befindet und überlistet Faust, indem er ihn durch Geistergesang und erotische Träume einschlafen läßt. (376) Er entschwindet, um den Pakt aus einer günstigeren Situation heraus zu schließen.

Christa Habiger-Tuczay beschreibt, daß in der Vorstellung vom Teufelspakt bis etwa zum 13. Jhd. die Beteiligten als gleichberechtigte Partner angesehen wurden, danach erschien der Mensch als untergeordnet. (377)

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